Krisenzeit 1920 bis 1944

Ab Mitte der 1920er Jahre blieb das Publikum in den Singspielhallen zunehmend aus. Technische Neuerungen wie Radio und Kino zogen die Aufmerksamkeit auf sich; in München konkurrierten allein 70 Lichtspieltheater mit den Volkssängergesellschaften um die Gunst des Publikums. Das Interesse der Menschen wandte sich Unterhaltungsformen wie Kabarett oder Revuetheater zu – Genres, die weniger provinziell und lokal bestimmt waren: prunkende Weltstadtdarbietungen in lustigem und frivolem Gewand waren nun gefragt. Manche Singspielhallen, allen voran das >>Apollo-Theater, reagierten darauf mit dem Versuch, ihre Programme den modischen Trends zu öffnen, indem sie Themenzusammenhänge im Sinne einer Revue schufen oder Tänzerinnen auftreten ließen.

Andere Volkssänger-Gesellschaften vollzogen diese Entwicklung zum Revue-Amusement nicht mit, sondern setzten verstärkt – den ungebrochenen Erfolg des >>Platzl vor Augen – auf das Bauerntheater. Der Komiker Pepi Dobler, geboren 1897, beschrieb 1956 diese Entwicklung rückblickend: „...Der Kellnerfrack, Gehrock usw. wurde abgelegt, an dessen Stelle kam die Bauernweste und Dirndlkleid […]. So spielten wir mit meiner Truppe „Die lustige G’moa“ im >>Kolosseum, Cafe Premauer usw.“

Ein weiterer Teil der Münchner Volkssänger blieb dem herkömmlichen Stil treu und ließ dabei gern kulturpessimistische Töne hören. Xaver Huber, 1.Vorsitzender des Lokalverbands, schrieb am 2. August 1930 an OB Dr. Karl Scharnagel: „Der Lokalverband der Münchner Volkssänger besteht aus 115 Mitgliedern, welche Humoristen, Komiker, Sänger und Sängerinnen sind und den echten alten, zotenreinen Humor bei ihren Familienvorstellungen bieten. Leider ist unsere Existenz durch den Fortschritt der Technik, wie Radio, Kino, sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, aber Dank der gütigen Mithilfe unserer H.V. Ehrenmitglieder, wie Herr Karl Valentin, Liesl Karlstadt sowie Weiß Ferdl und der Presse bleiben wir immer beim Münchner Publikum in bester Erinnerung.“

Während das Gros der Volkssänger/innen darbte, waren die Vorstellungen von Liesl Karlstadt und Karl Valentin immer ausverkauft; sie spielten gewissermaßen in einer eigenen Liga, die sich zwar der Merkmale der Volkssängerei bediente, das Genre aber weit überragte. Ebenso konjunkturunabhängig war >>Weiß Ferdl mit seiner Truppe im >>Platzl, auch hier blieb, wie oben bereits erwähnt, der Erfolg garantiert.

Von den rund 80 Auftrittsorten für VolkssängerInnen, die um 1900 in München existierten, waren 1930 noch etwa 20 übrig geblieben. Gute Spiel- und damit Verdienstmöglichkeiten bestanden hingegen in kleineren bayerischen Städten. Manche Volkssänger wie >>Käte Ammerlander oder Wiggerl Schwarzer verlegten ihre Wirkungsstätte nach Ingolstadt, >>Georg Blädel absolvierte häufig Gastspiele in Nürnberg.

Die Beschwörung des Guten und Alten begleitete die Münchner Volkssängerei durch alle Jahrzehnte. Über einen „Abend des vergessenen Volkssängers“ berichtete der „Völkische Beobachter“ am 9. September 1934, nun noch um die Ideologie der so genannten „Volksgemeinschaft“ angereichert: „Darsteller und Zuhörer eine große, fröhliche Familie. ... mit der Blasiertheit eines literarischen Intellektualismus darf man an solche Veranstaltungen nicht herantreten. Wer aber mit der Volksgemeinschaft lebt und fühlt, wer aus ihr kommt und die Freuden und Leiden seines Volksgenossen teilen und miterleben kann, der weiß, daß das, was geboten wurde, wirkliche, echte Volkskunst war!“

Die nationalsozialistische Blut- und Boden-Ideologie verbot eine Karikierung der Bauern, das bedeutete das Ende des Gscheerten, der Zentralgestalt des Volkssängerei-Repertoires. Auch andere gängige Themen fielen der neuen Zensur zum Opfer: Soldaten, das Verhältnis Bayern/Preußen, Politiker, Beamte, staatliche Maßnahmen. >>Weiß Ferdl, der bereits um 1930 mit den Nationalsozialisten sympathisierte, aber erst 1940 der NSDAP beitrat, stellte 1946 für sein Entnazifizierungsverfahren (bei dem er als Mitläufer eingestuft wurde) eine Liste zusammen mit dem Titel „Verwarnungen und Verbote während des Dritten Reiches, an die ich mich noch erinnern kann“, in der es heißt: „Propagandaminister Goebbels lässt mich als einzigen bayerischen Humoristen ... rufen und hält mir einen längeren Vortrag. Über alles, was mit der Partei zusammenhängt, dürfen keine Witze gemacht werden. Als ich dann frug, über was ich dann Witze machen darf, antwortete er: ‘Über Juden, Miesmacher, Bibelforscher und – wir sind nicht prüde – arbeiten sie etwas freier’.“

Mit der Einrichtung der Reichskulturkammer und ihren Unterkammern im September 1933 begann der Ausschluss jüdischer KünstlerInnen: Die Zugehörigkeit zur Reichskulturkammer war Bedingung für eine Auftrittserlaubnis, die so genannten Nicht-Ariern aber verwehrt wurde.

Während der Vorkriegs- und ersten Kriegsjahre herrschte allgemein eine große Ausgehfreudigkeit; Theater, Konzertsäle, Kinos und Volkssängerbühnen waren bestens besucht. Die Bühnen spielten trotz Bombenangriffen und Verdunkelungsbefehl bis zur Schließung sämtlicher Unterhaltungsstätten, die Joseph Goebbels zum 1. September 1944 im Rahmen des „totalen Kriegseinsatzes“ anordnete. Die Zahl der bespielbaren Orte nahm durch die Zerstörungen beständig ab, aber improvisierte Ausweichquartiere boten Ersatz.

Ein wichtiges Arbeitsfeld für UnterhaltungskünstlerInnen während des Kriegs stellte die Truppenbetreuung der Wehrmachtsoldaten dar. Die Organisation „Kraft durch Freude“ schickte Ensembles wie das Tegernseer Bauerntheater, Künstler/innen vom >>Platzl, >>Georg Blädel, >>Erika Blumberger, >>Wastl Fanderl und andere VertreterInnen der Münchner Volkssängerei quer durch Europa, um mit heiterer Unterhaltung die Soldaten bei Laune zu halten. Diese Tourneen boten mehrmonatige feste Engagements, wurden nicht schlecht bezahlt und waren vor allem bei der männlichen Künstlerschaft begehrt, retteten sie doch als „kriegswichtige Einsätze“ vor der Einberufung zur Wehrmacht. (Quelle: Bundesarchiv Berlin NS 5/I/149)

 

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